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Veranstaltungsbericht: Die Schweiz, die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht

Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, als Stéphanie Mörikofer den Abend eröffnete: Die Menschenrechte und die damit zusammenhängenden Fragen werden heute wieder diskutiert, besonders in der Schweiz, dem Depositärstaat der Genfer Konventionen.

 

Ein Bericht von Regula Frei-Stolba

F-info.ch (Aargau) fragt: Was versteht man unter dem humanitären Völkerrecht? Was sind Menschenrechte? Welche Bedeutung haben sie für uns im Alltag? Wie setzt sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Krisengebieten für die Menschenrechte ein? Kann man Menschenrechte ausser Kraft setzen?

 

Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, als Stéphanie Mörikofer den Abend eröffnete: Die Menschenrechte und die damit zusammenhängenden Fragen werden heute wieder diskutiert, besonders in der Schweiz, dem Depositärstaat der Genfer Konventionen.

Christine Beerli, Vizepräsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zog den Bogen von der Schlacht bei Solferino (24. Juni 1859) mit 40’000 verwundeten oder getöteten Soldaten und einer verwundeten Frau zum heutigen Konflikt in Syrien, wo seit 2011 250’000 Tote gezählt werden, davon 2/3 Zivilpersonen (!), und viele Millionen Flüchtlinge, ebenfalls Zivilpersonen. Das IKRK bemüht sich den Leuten im Kriegsgebiet unparteiisch zu helfen und auch die Flüchtlinge in den umliegenden Ländern zu unterstützen. Asymmetrische Kriege und innerstaatliche Konflikte erschweren die Bemühungen, da die Genfer Konventionen von 1949 nur staatliche Konflikte berücksichtigten. Doch das IKRK kann sich auch auf die UNO-Resolution über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dez. 1948 stützen, die als Folge des Holocaust proklamiert wurden. Das humanitäre Völkerrecht und das Kriegsvölkerrecht sind heute die Spezialgesetzgebung der allgemeinen Menschenrechte; beide wollen den Menschen in seiner Persönlichkeit und Würde schützen.

An diesem Punkt konnte Jürg Künzli, Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Bern und Direktor der Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte einhaken. Neu war für die meisten Zuhörerinnen, dass sich die Menschenrechte des Individuums als urliberales (und nicht „linkes“!) Konzept ursprünglich gegen die Übergriffe des Staates richteten. Heute können mächtige Private ebenfalls bedrohlich wirken (auch multinationale Konzerne), so dass der Staat auch als Schutzgeber wirkt, unabhängige Gerichte stellt und somit Gefahr und Garant zugleich ist. Der Europarat beschloss am 10. Dezember 1950 die Europäische Menschenrechtskonvention als verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag und richtete 1959 den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg ein. Die Schweiz wurde 1963 Mitglied des Europarates und trat 1974 der Europäischen Menschenrechtskonvention bei. Die EMRK verankert Minimal-standards. Künzli zeigte klar auf, dass entgegen der politischen Gegnerschaft die meisten Klagen gegenüber der Schweiz abgewiesen worden sind. Dann ging der Referent auf das schwierige Thema „Menschenrechte und Demokratie“ ein. Die Menschenrechte stehen nicht im Widerspruch zur Demokratie, denn auch die Demokratie benötigt Spielregeln. Wichtig: Die Schweiz kann nicht einfach den Vorrang des Landesrechts vor dem Völkerrecht dekretieren, das würde Vertragsbruch bedeuten. Die „Strassburger Richter“ sind nicht „fremde Richter“, darunter amtierten aus der Schweiz Denise Bindschedler-Robert und Luzius Wildhaber.

Die Diskussion unter der Leitung von Stefan Schmid war äusserst lebendig: Die erste Frage lautete: Wie schlecht steht es um die Menschenrechte? Das Podium, zu dem sich auch Urs Schwaller einfand, war sich zum Erstaunen des Publikums einig: Besser als früher! Denn früher wusste man viel weniger, heute im Zeitalter der Sozialen Medien verbreiten sich Bilder und Nachrichten über Verletzungen der Menschenrechte rasch über die Welt. Die Kriegsverbrecher der Jugoslawienkriege mussten sich alle vor den Gericht in Den Haag verantworten. Aber die Lage ist nicht so, wie sie sein sollte. Da waren sich alle ebenfalls einig. Viel zu reden gab die geplante Initiative der SVP „Landesrecht vor Völkerrecht“. Viel ehrlicher wäre die klare Forderung nach Kündigung des Vertrags der Schweiz mit allen europäischen Staaten; doch dann wäre sie nicht nur allein, zusammen mit dem Diktator von Weissrussland, sondern sie würde auch die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts beeinträchtigen und sicherlich eine Minderung der Stellung von Genf als internationale Plattform (gerade auch für heikle Friedensgespräche) riskieren und ihre humanitäre Tradition in Frage stellen.

Regula Frei-Stolba
Prof. em. Dr. phil.
Aarau


 

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