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Veranstaltung-Rückblick: Fake News, Social Media und die direkte Demokratie (AG)

Der von der f-info.ch in Aarau organisierte Abend über die gegenwärtige „Medienrevolution“ stiess auf grosses Interesse. Adrienne Fichter, Herausgeberin des Buches „Smartphone – Demokratie“) zeichnete die Veränderungen der letzten fünf Jahre nach; Lis Borner, Chefredaktorin von Radio DRS, fasste die Gegenmassnahmen der traditionellen Medien zusammen, worauf das Podium (mit Susanne Hochuli, ehem. Regierungsrätin und Journalistin; Doris Kleck Co-leiterin Inlandredaktion Aargauer Zeitung) und das Publikum unter Leitung von Maurice Velati die positiven und negativen Seiten der sozialen Medien diskutierten.


Adrienne Fichter strich in ihrem Grundsatzreferat zwei Schwerpunkte der jüngsten Entwicklungen heraus, ohne das Internet und die neuen Kommunikations¬möglichkeiten zu verteufeln. Die Referentin würdigte zuerst die positiven Eigenschaften der sozialen Medien. Wie in den USA der Aufruf zum Women’s March auf Washington vom 21. Januar 2017 zeigte, lassen sich über die sozialen Medien (Facebook, Twitter usw.) sehr viel einfacher und wirksamer grosse Demonstrationen verwirklichen. Die sozialen Medien können also die Demokratie durchaus beleben.

Nun haben sich jedoch von 2012 bis heute die Internetwelt und insbesondere die sozialen Medien entscheidend verändert: Es bildeten sich Oligopole und Monopole. 70 % des gesamten Internetverkehrs wird auf Google (jedermann sucht dort!), auf Amazon (man kauft dort ein) und auf Facebook (= fb, wo man diskutiert) abgewickelt. Die Konkurrenten sind (vgl. Yahoo) abgehängt. Insbesondere haben sich die sozialen Medien verändert. Heute dominiert fb umfassend, 94% aller fassbaren Klicks und Bewegungen auf dem Internet geschehen über fb! Die Macht von Mark Zuckerberg ist riesengross, sein Reichtum auch.
Dazu sind die Algorithmen, eigentlich die Rechenanweisungen zur Lösung eines Problems, immer mehr verfeinert und personalisiert worden, im Interesse der zahlreichen auf Google und auf fb inserierenden Unternehmen und Firmen (das Geschäftsmodell der globalisierten Unternehmungen). Um ein persönliches Beispiel anzuführen: Als ich mir einen bestimmten Holzstuhl anschaffen wollte, suchte ich auf Google nach Produzenten und Verkäufern. Nach dem Kauf bot mir die Suchmaschine Google unentwegt weiter Holzstühle an, d.h. ein Algorithmus „denkt“ nichts Neues, sondern zementiert Bestehendes. Freilich geht jetzt die Forschung dahin, die Algorithmen „lernfähiger“ zu konstruieren.

Politisch und gesellschaftlich relevant sind die Wechselwirkungen zwischen den sozialen Medien (fb) und den klassischen Medien (Zeitungen, Radio und TV). Sie stellen eines der Hauptprobleme der Demokratien dar. Warum? Sobald die sozialen Medien mit Inseraten aus der Geschäftswelt verknüpft wurden, wurden zugleich auch die „likes“ („gefällt mir“-Klick) eingeführt. Nun werden aber nicht nur Lippenstifte propagiert und mit Likes („gefällt mir“) bewertet, sondern immer mehr auch politische Meinungen, insbesondere Artikel in den Tageszeitungen. Die Artikel der Tageszeitungen werden dann den fb-Freunden und fb-Freundinnen, allen fb-Teilnehmerinnen und fb–Teilnehmern, zur Kenntnis gebracht.

Die Auswirkungen sind dramatisch: Erstens entstehen so die sogenannten Blasen („bubbles“). In den USA ist diese Entwicklung so weit fortgeschritten, dass ein Grossteil der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr die Zeitungen liest oder die Artikel auf dem Netz anklickt, sondern nur noch via fb zur Kenntnis nimmt. Da fb aber mit Algorithmen arbeitet, werden einmal geäusserte Meinungen übernommen und nur noch jene Informationen den betreffenden Nutzern zugewiesen, die diese Meinungen bestätigen. Fake News, Falschmeldungen, die es immer schon gegeben hat, haben somit einen viel grösseren Einfluss. Zweitens ist der finanzielle Schaden für die Zeitungen immens, woran die Zeitungen selbst nicht unschuldig sind. Die sozialen Medien beschäftigen keine Journalisten und Journalistinnen, sondern die Beiträge werden dem Millionenpublikum der eingeschriebenen fb-Freunden gratis zugestellt. In der Anfangseuphorie des Internet war es üblich, dass alles, was geschrieben und gelesen werden konnte, kostenlos war. Google zum Beispiel liess ganze Bibliotheken scannen und stellte diese seltenen Bücher allen zur Verfügung (was wunderbar ist! aber eben nicht für die Tages- und Wochenzeitungen, vgl. weiter unten). Drittens wird durch die Verengung auf fb die „Öffentlichkeit“, eine der Grundlagen der demokratischen Diskussion nach Jürgen Habermas, zerstört. Der Bürger, die Bürgerin erhält nicht mehr einen Überblick über alle politischen Meinungen zu einer umstrittenen Frage, sondern nur noch die eigene Meinung, hundertfach verstärkt (Big-Data-Kampagnen, d.h. spezifische Werbung, die sich an bestimmte Zielgruppen richtet). Es gibt keine Diskussion über andere Meinungen, keine umfassende digitale Öffentlichkeit, sondern jeder und jede sieht nur die eigene personalisierte Meinung. Es fehlt die Verbindung aller Bürger und Bürgerinnen untereinander, die Interessen können nicht gegeneinander abgewogen werden, Politik aber bedeutet immer Bündelung von Interessen.

Wie ist die Lage in der Schweiz? Wie reagieren die traditionellen Medien? In der Schweiz werden die traditionellen Medien vorwiegend noch direkt angeklickt (vorwiegend die gratis-Seiten!). Doch es gibt 31% apolitische, vor allem jugendliche fb-Konsumenten. Lis Borner zeigte eindrücklich, wie Zeitungen, Radio und TV informieren, Übersicht schaffen, Ereignisse einordnen und Zusammenhänge herstellen. Die „5 W“ („who, what, when, where, why“) sind immer noch grundlegend für den Journalismus. Die traditionellen Medien wollen richtigerweise apolitische fb-Jugend erreichen und stellen Apps* bereit, die den Zugang zu geprüften Nachrichten ermöglichen. Immer mehr werden auch Beiträge aufgeschaltet, die eigens für die jugendlichen Leser geschrieben worden sind. Aber diese Apps sind bis jetzt gratis, die Lage ist eben schwierig; denn die Zeitungen können den journalistischen Teil nicht mehr durch die Inserate finanzieren, da ihnen das Inseratengeschäft weggebrochen ist; so stützen sich gewisse Zeitungen nur auf die Abonnenten und schreiben sozusagen eine Abonnentenzeitung (WOZ, Weltwoche).

In der sehr lebhaften Diskussion wurden die aktuellen Beispiele der russischen Einflussnahme auf die USA-Wahlen, die apolitische Jugend (Susanne Hochuli), und die Veränderungen in der Politik selbst (Politik muss unterhalten!), der aufdeckende und kritische Journalismus (die eben publizierten Paradise Papers) genannt, aber auch Lösungsansätze propagiert (die Kommentarseiten werden wichtiger und müssen neu strukturiert werden, Doris Kleck).

16.11.17 RFS

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